Grad mal wieder 'nen Brocken runterschlucken müssen, der mir unweigerlich hochkam. So ganz runter will er aber noch nicht.
Derzeit geht es in den Nachrichtenportalen häufig um die Schieflage von Unternehmen, bspw. in der Gastronomie. Die Kommentarspalten sind wie immer ein Spiegel (hrhr) der Gesellschaft. Und genau das lässt mich wieder mal denken, in der falschen Spezies geboren zu sein. Wäre ich mal lieber
Xenomorph oder wenigstens Komodowaran geworden ...
Nach dem, was ich heute beim Frühstückskaffee gelesen habe sollte wohl ein Unternehmer:
- mindestens faire, besser hervorragende Löhne zahlen!
- für seine Waren und Dienstleistungen nur Preise aufrufen, die gerade so kostendeckend sind, damit kein*e Kund*in mehr als unbedingt nötig bezahlen muss!
- selbstverständlich alle Steuern in vollem Umfang und fristgerecht bezahlen
- auf keinen Fall reich sein, denn Reichtum geht immer auf Ausbeutung zurück! (okay, mit Punkt 1-3 kein Problem)
- für Krisenzeiten mindestens das Geld für 1 Jahr Betriebsausgaben auf der hohen Kante haben (hoppla, wie war das mit Punkt 1-4?)
- niemals auf staatliche Zuschüsse oder Hilfskredite angewiesen sein, schlimmer noch: Subventionen!
Ich bin es gewohnt, dass Menschen, die keine kaufmännische Ausbildung oder eigene unternehmerische Erfahrung haben, die Verhältnisse in Unternehmen häufig nicht korrekt einordnen können. Das ist normal so und ich habe wiederum ja auch keine Ahnung bpw. von Kindererziehung, Schneiderhandwerk oder Neurochirurgie. Muss nicht jeder alles wissen.
Aber, dass sich Menschen nicht zu schade dafür sind, in öffentlichen Foren und Kommentarbereichen ihre Ignoranz derart zur Schau zu stellen, erfüllt mich mit Speziesscham.
Ja, erfolgreiche Unternehmer sollten Rücklagen aufbauen - noch bevor sie an weitere Investitionen denken. Dennoch sollte man sich wenigstens mal einen Taschenrechner in die Hand nehmen und den Lohn, den man als fair erachten würde, mal 1,3-1,5 nehmen (um die Lohnnebenkosten abzubilden), dann mit der Anzahl der Mitarbeiter eines Unternehmens multiplizieren, vielleicht noch einen Mitarbeiter zusätzlich einkalkulieren (denn ja, auch der Unternehmer möchte weiterleben) und die Summe mal die Monate rechnen, die Corona das Geschäftsmodell verhagelt. So Sachen wie Miete/Pacht, Kreditraten, Abnahmeverpflichtungen (z.B. Brauereiverträge, Franchise), Verwaltungskosten oder noch offene Verbindlichkeiten für frühere Lieferungen lassen wir der Einfachheit halber mal aussen vor. Aber gehen wir mal von einem mittlerem Gastro-Betrieb aus, ist je nach Unternehmensgröße alleine durch Personalkosten eine halbe Million in wenigen Monaten weg. Einfach weg. Ohne von nennenswertem Umsatz gedeckt zu sein. Und ohne, dass klar ist, wie sich die Marktlage in Zukunft entwickelt. Das ist selbst für die erfolgreichsten Unternehmer nicht mit den üblichen Rücklagen zu decken. Und Modelle wie Kurzarbeit sind sicher hilfreich, aber lösen nicht das Problem, das perspektivisch auf unabsehbare Zeit fortbestehen wird.
Dass jetzt reihenweise Menschen, die unternehmerische Verantwortung übernommen und viel eigenes Geld, Fleiß, Mut und schlaflose Nächte investiert haben, auf einmal Sprüche kassieren wie "Dann hätten die mal besser wirtschaften müssen!" oder "Jaja, jahrelang sich die Taschen voll gemacht und jetzt Staatshilfe abzocken!", erfüllt mich mit Trauer und Bitterkeit.
In vielen Märkten, auch abseits der Gastronomie, werden Köpfe rollen. Die Nachfrage für alles, was nicht lebensnotwendig ist, ist in den corona-geplagten Industrieländern um knapp ein Drittel eingebrochen. Tourismus, Kultur, stationärer Handel, Gastronomie - alles, was Innenstädte besuchenswert macht, hat gerade hart zu kämpfen. Viele Marktteilnehmer werden verschwinden. Von euren 10 Lieblingsrestaurants wird es nächstes Jahr mit Glück noch 4 oder 5 geben. Kleine Boutiquen und Fachhändler werden weiter verdrängt. Kulturangebote können nicht mehr vor ausreichend vielen Besuchern stattfinden, weshalb mindestens die Eintrittspreise steigen, viele Angebote aber eher ganz ausfallen. Vor diesem Hintergrund Unternehmern auch noch Versagen und Misswirtschaft vorzuwerfen ist nicht nur unangebracht. Es ist undankbar und ignorant.
Disclaimer: Wie viele Wissen, bin ich selbst Unternehmer, bin mit einem kleinen Kramladen selbständig. Mich und mein Unternehmen hat die Krise nicht so hart getroffen, da ich weitgehend allein, nur mit einer Aushilfe, den Laden am Laufen halte. Mein Laden ist räumlich klein, die Fixkosten überschaubar. Auch im Privaten halte ich meine Kosten im Griff und lebe immer mit schlankem Budget, weil ich materiell nicht so die hohen Ansprüche habe. Ich komme also schon irgendwie durch, da mir vorübergehend auch geringe Einnahmen genügen. Mein obiger Rant soll einfach meine Fassungslosigkeit über die Sicht mancher Mitmenschen zum Ausdruck bringen. Und vor allem mein eigenes Verständnis für den Struggle meiner Kollegen in den Innenstädten dieser Welt zeigen. Für viele von ihnen brennt echt unverschuldet gerade alles nieder, was sie über Jahre oder Jahrzehnte unter zahlreichen Entbehrungen aufgebaut haben. Dass sie dafür jetzt auch noch am Boden liegend Häme kassieren, darf einfach nicht sein.